Herr Schaefer, Sie haben in München Modejournalismus studiert, bevor Sie nach London und im letzten Jahr nach Paris zogen. Wie kommt ein Modefotograf zur Kunst?
Fotografie war und ist für mich das perfekte Werkzeug, um meine eigene Interpretation der Realität zu erschaffen – dabei geht es mir um Schönheit, Kunst und Ästhetik, nicht unbedingt um technische Perfektion. Auch in meinen Mode- und Beautyfotografien will ich das Nicht-Offensichtliche festhalten. Indem ich Umrisse verwische, Schwarz- und Grautöne bewusst moduliere oder mit Licht und Schatten experimentiere, lasse ich zu, dass eine Form in eine andere übergehen kann. Die Fotografie wird so fast zu einem Gemälde. Im Grunde versuche ich, der Banalität der Bilder, denen wir heutzutage in den sozialen Medien oft ausgesetzt sind, zu entkommen.
Sie zeichnen auch. Stimmt es, dass Sie damit in den Pausen für Ihre Modeshootings begannen?
Ja, ich habe das Zeichnen in den produktionsfreien Tagen für mich entdeckt. Mit der Zeit wurden meine Kohlezeichnungen zu meinem visuellen Kompass. Ich betrachte sie heute als eine Art „ästhetische Nabelschnur“, die die Welt der Fotografie und die der Kunst für mich verbindet. Dass die Zeichnungen immer größer und auch käuflich wurden, war nicht geplant, hat sich aber so ergeben.
Dark Shapes & Forms, 2021
Face Fragements, 2018
Halfen Ihnen die Lockdowns in der Pandemiezeit?
Absolut! Ich hatte endlich einmal die Zeit, meine kreativen Ideen auszuloten. Ich war sehr produktiv.
Sie komponieren Ihre Bilder nur in Schwarzweiß – warum keine Farbe?
Die Schwarzweißfotografie eröffnet mir neue Ausdrucksmöglichkeiten. Es ist, als betrete ich eine Welt, die auf dem Kopf steht, und die viel sensibler, abstrakter und intimer ist als die Welt der Farben. Besonders die „Nicht-Farbe“ Schwarz dient mir als zentrale Komponente für meine visuelle Botschaft. Schwarz ist fesselnd und scheint sehr deprimierend, frustrierend und tot zu wirken, ist aber tatsächlich extrem sexy, lebendig und beflügelnd. Diese Doppeldeutigkeit liebe ich, deshalb bewege ich mich hauptsächlich in einer schwarzweißen Welt, die mir ein ästhetisch angenehmes Gefühl vermittelt.
Ihre Skulpturen erinnern stark an den Surrealismus. Welche Künstler inspirieren Sie?
Hans Bellmer und Isamu Noguchi, der Fotograf Joel-Peter Witkin.
Damen Summa Summarum, 2022
Der Mann der nicht mehr wollte, 2022
Die Surrealisten erschufen Ihre eigene Welt. Was fasziniert sie heute daran?
Wie die Surrealisten den psychischen Automatismus und die freie Gedankenassoziation einsetzten, um spontan und unbewusst Kunst zu erschaffen, entspricht meiner Herangehensweise. Ich fühle mich geehrt, die Tradition des Surrealismus heute fortsetzen zu können.
Warum arbeiten Sie in Gips?
Gips hat eine wundervolle Haptik und erhält – wenn ordentlich poliert – eine nahezu marmorhafte, glatte Oberfläche. Zudem ist er verhältnismäßig einfach im Alleingang zu verarbeiten und ein wunderbares Material für eine Skulptur.
Ihre Titel erzählen Geschichten. Welche Bedeutung hat Sprache für Ihre Kunst?
Ich sehe die Titel und somit die Sprache als Schlüsselelement für ein Gesamtkunstwerk.
Sie fotografieren, zeichnen und fertigen Skulpturen, welche Technik liegt Ihnen am meisten?
Das ist schwer zu sagen. Eine Technik inspiriert und verbessert die andere, und im Großen und Ganzen bewegen sie sich ästhetisch alle auf gleicher Ebene.
Wovon träumen Sie als Künstler?
(lacht) Von einem Landsitz mit viel Platz, in dem ich mich uneingeschränkt künstlerisch entfalten kann, mehr als in meinem Wohnatelier in der Großstadt.
Interview: Gabi Czöppan
↘ Ausstellung Seine Arbeiten sind bis Mitte Juli in der Kahmann Gallery in Amsterdam zu sehen. Lindengracht 35, 1015 KB Amsterdam → kahmanngallery.com
Der gebürtige Bayer Marcus Schaefer in seinem Pariser Atelier, 2022